Inge Rösch-Rhomberg
Ein Blick in eine koreanische ‘Lineage’.
Ideologie und Praxis.
Lineage, Lineage-Organisation und lokale ‘Lineage’-Häuser
Berliner Beiträge zur Ethnologie Bd. 13
Berlin, Juli 2007, 290 Seiten; mit zahlreichen farbigen
Abbildungen, € 14,90; ISBN 978-3-89998-110-0
Zur
Buchreihe
Über das Buch:
Wie Konfuzius und andere chinesische Gelehrte sind auch
bedeutende koreanische Literati im nationalen konfuzianischen
Schrein (Munmyo) verewigt. Als geistige Vorfahren werden
sie nicht nur von Konfuzianern verehrt, sondern auch von
deren in Lineages organisierten Nachfahren. Über Jahrhunderte
haben solche Nachfahren über regelmäßig
auf den neuesten Stand gebrachte Genealogien und lokal praktizierte
Ahnenrituale ihren sozialen Status tradiert.
Die Autorin führte gegen Ende ihres fünfjährigen
Korea-Aufenthalts eine traditionelle ethnologische Feldforschung
in den Jahren 1989 bis 1991 bei den Nachfahren eines solchen
berühmten Ahnen durch. Sie stellt ein Lineage-Dorf
mit seinem Primogeniturhaus, seinen Ahnengräbern, Nachfolgehäusern
und seiner privaten konfuzianischen Akademie (Sòwòn)
sowie dessen überregionale Beziehungen zu einer zentralen
Lineage-Organisation vor. Dabei verbindet sie klassische,
aber auch gegensätzliche ethnologische Konzepte, wie
‘Lineages’ und ‘Hausgesellschaften’,
und entwickelt neue Fragestellungen.
Diese Arbeit berührt Aspekte der koreanischen Kultur,
die einer breiten Leserschicht in Deutschland bisher unbekannt
sein dürften: Korea, das 'konfuzianischste Land Ostasiens'.
Über die Autorin:
Inge Rösch-Rhomberg arbeitet als freiberufliche Ethnologin
und lebt derzeit in Chile. Ihr jüngster publizierter
Aufsatz „Korean institutionalised adoption“
erschien im Sammelband von Fiona Bowie, Cross-Cultural Approaches
to Adoption (2004), London:Routledge.
Aus dem Inhalt
Vorwort und Danksagung
Diese Arbeit basiert auf einer ethnologischen
Feldforschung zwischen 1989 und 1991 in einem koreanischen
Dorf in der Provinz Kyònggi, Distrikt Yongin, der
eine vorbereitende Phase in Seoul mit Sprachstudium ab Mitte
1986 vorausging. Professor Yi Kwang-kyu, damals einer der
leitenden Professoren und Verwandtschaftsexperte am Institut
für Ethnologie der Seouler National-Universität
(SNU), empfahl mir dieses Dorf, in dem einige seiner Studenten
bereits kleinere informelle Interviews durchgeführt
hatten, über die mich Professor Yi informierte. Eine
von einem dieser Studenten erstellte rudimentäre Genealogie
der im Dorf dominanten, nach patrilinearen ideologischen
Gesichtspunkten organisierten Gruppen, erwies sich als ideale
Einstiegsmöglichkeit zu Gesprächen in verschiedenen
Häusern.
Was ich zu diesem Zeitpunkt leider nicht wusste, war die
Tatsache, dass dieses Dorf eines der sechs Dörfer war,
die Ende der 50er Jahre von Professor Yi Man-gap für
eine soziologische Untersuchung analysiert worden waren,
worauf mich Frau Professor Martina Deuchler dankenswerterweise
aufmerksam machte. So hatte ich erst Anfang 1991 Gelegenheit,
in Begleitung von Frau Kang Duk-hee zwei längere, anregende
Gespräche mit Professor Yi zu führen, die mir
zu einem früheren Zeitpunkt einiges an Arbeit erspart
hätten. Andererseits war ich dadurch neutral und ohne
Vorwissen an die Forschung herangegangen. Professor Yi überließ
mir freundlicherweise eine Skizze der von ihm 1958 aufgenommenen
Häuser in Nùnggol, die beim Vergleich mit meiner
eigenen Zeichnung der Hausbesitzstruktur des Ortskerns,
die ich Anfang 1990 parallel zum Survey erstellte, nur minimale
Abweichungen aufwies. Die Häuser waren weitgehend im
Besitz derselben Familien geblieben. Leider standen keine
Fotos für Vergleichszwecke zur Verfügung. Professor
Kang Sin-p’yo, 1958 Assistent von Professor Yi Man-gap
und zuständig für die Beobachtung der Ahnenrituale,
berichtete mir, seine gesamten Unterlagen seien im Hause
eines Freundes verbrannt, während er sich zu Forschungszwecken
in Hawaii aufhielt. Professor Kang hatte nur eine alte Fotografie
des Aufgangs zum Ahnengrab, die dort Häuser zeigte,
die nicht mehr existierten. Da es früher in Korea nicht
üblich war (Ausnahme einige von Ausländern veröffentlichte
Studien), Pseudonyme für Dörfer, Clans und Lineages
zu benutzen, befand ich mich in einem Dilemma, was die Verschlüsselung
der Daten anbetraf. Die historisch sehr wichtige Identifizierung
von Clans stellt für Ethnographen ein ethisches Problem
dar, denn diese arbeiten im Kontext von aktiv handelnden
und manipulierenden Individuen und Gruppen. Nach vierzehn
Jahren aber ist die Feldforschung bereits Geschichte. Ich
habe zum großen Teil die Verschlüsselung beibehalten,
die ich in bisherigen Artikeln und Vorträgen vornahm
(Rösch-Rhomberg 1994a,b,c, 1998, 2004).
Während meiner Feldforschung vollzog sich ein dramatischer
Wandel im Dorfgefüge. Rasante Steigerungen der Bodenpreise
– vermutlich bedingt durch die geplante und 1990 auch
begonnene Entlastungsstadt für Seoul in der weiteren
Umgebung – führten zum Verkauf etlicher Grundstücke
im Lineagebesitz. Die alten Häuser wurden von den ansässigen
Dorfbewohnern zum Teil abgerissen oder vorübergehend
an kleine Handwerksbetriebe vermietet. Vor diesem Hintergrund
verbreitete sich schnell das Gerücht, ich sei ein Grundstücksinteressent.
Die neuen Häuser von Lineage-Mitgliedern entstanden
auf Grundstücken in meist schlechteren Lagen als zuvor,
was zu einer Veränderung der alten architektonischen
Dorfstruktur führte, deren gesamtes Ausmaß ich
während meines Aufenthalts nicht mehr miterlebte.
Ende September 2003 hatte ich nach 12 Jahren zum ersten
Mal die Möglichkeit, das Dorf wieder zu sehen –
wenn auch nur kurz. Ich würde es nicht mehr finden,
prophezeite man mir an der SNU in Seoul. Die Satellitenstadt
Pundang war mittlerweile mit Seoul zusammengewachsen, ehemalige
Dörfer dazwischen nur noch an den Namen der U-Bahn-Stationen
zu erkennen, Hügel waren abgetragen, Senkungen zugeschüttet,
neue Autobahnen gebaut. Mein Feldforschungsdorf weiter im
Süden, den städtischen Taxifahrern in Pundang
gar nicht bekannt, fand ich nur mit Mühe. Dieser dramatische
Wandel bestärkte mein Vorhaben, die Forschung der Öffentlichkeit
zugäng¬lich zu machen.
Professor Georg Pfeffer schlug mir im Verlauf unserer Diskussionen
vor, den Schwerpunkt meiner Arbeit auf das Thema ‘Lineage‘
in Korea zu legen – ein Vorhaben, das ich trotz meiner
Kenntnisse einer Lineage in Aktion anfangs nicht in Betracht
gezogen hatte, da bereits die sehr gute Arbeit von Janelli
und Janelli (1982) zu diesem Thema vorlag. Die Kritik von
Chun (1996), sowie die erneute Aufnahme der ‘Lineage‘-Diskussion
durch Scheffler (2001), gaben diesem Vorschlag jedoch Würze.
Ohne die freundliche Hilfe unzähliger koreanischer
Wissenschaftler, Bibliotheks- und Institutsangestellter,
Beamten in Behörden und Museen in den Jahren von 1986
bis 1990 wäre es wohl kaum möglich gewesen, die
undurchdringlich erscheinenden kom¬plexen Barrieren
– zumindest vor der Olympiade 1988 – zu überwinden.
Mein besonderer Dank gilt Professor Yi Kwang-kyu, der mir
1987 nicht nur den Zugang zur Bibliothek der SNU ermöglichte
(damals Tabu für jemanden, der sich an der Universität
auf das Erlernen der Sprache konzentrieren sollte), sondern
mich auch in die Welt der koreanischen Anthropologen einführte,
zu ‘field trips‘ mit seinen Studenten mitnahm
und der trotz seines starken Arbeitspensums jederzeit zu
Gesprächen bereit war. Dr. Kang Dùk-hee erschloss
mir die Bibliothek der Ewha Universität, Dr. Spieker
und Dr. Cho Hae-joang die der Yonsei, und Dr. Moon Ok-pyo
war äußerst hilfreich, mich mit der Institution
der ‘Academy of Korean Studies‘ vertraut zu
machen. Durchreisende oder zu kurzen Forschungsaufenthalten
anwesende ausländische Koreanisten wie die Professoren
Martina Deuchler, Dr. Koen deCeuster, Dieter Eikemeier,
Laurel Kendall, Sarah Nelson, Werner Sasse, Dorothea Sich,
Clark Sorensen und Hans-Jürgen Zaborowsky erweiterten
netterweise durch Ihre Gesprächsbereitschaft mein Koreabild.
Neben Frau Kang Dùk-hee, die mir hilfsbereit und
vorausdenkend die Teilnahme an etlichen Trauerzeremonien
ermöglichte, erinnere ich mich gerne an die Germanistin
Frau Yòng-hae Chòn, die mir die Kontakte zur
Kyòngwòn Universität vermittelte. Dort
konnte ich ein Semester lang Deutsch unterrichten und hatte
somit Gelegenheit, über Aufsätze der Student/innen
etwas in die Gedankenwelt der jüngeren Generation einzudringen.
Der Germanistin Heidi Kang verdanke ich etliche Hinweise
zum modernen ‘Yangbanisierungsprozess‘. Nicht
vergessen möchte ich Frau Kim Yòngsu, eine außerordentlich
intelligente Frau, mit der ich in Seoul vor der eigentlichen
Feldforschung systematisch über längere Zeit hinweg
informelle, offene Interviews nach Spradley (1979:55-68;
224-225) üben konnte.
Im Feld selbst, zwischen 1989 und 1991, danke ich allen
Dorfbewohnern für das geduldige Ertragen meiner Fragen,
die für viele gelegentlich sehr lästig waren,
da ich versuchte, im Rahmen der Survey möglichst in
jedem Haus des Dorfes detailliertere Gespräche zu führen,
um alle Bewohner kennen zu lernen. Meinen speziellen Dank
übermittle ich den Verantwortlichen der X-ssi im Lineagebüro
in Seoul, die mir erlaubten, im chaesil, dem Lineage Versammlungs-
und Ritualhaus mein festes Feldforschungsdomizil ab 2.1.1990
aufzuschlagen. Herzlichen Dank an die Grabverwalter-Familie
im Domizil neben dem Versammlungshaus und vor allem deren
dominanter Großmutter (halmòni) und Schwiegertochter
(myònùri), die mich zu ihren ‘sikku‘,
den ‘offenen Mündern, die sie mit Essen versorgten’,
zählten. Dank auch an die Freundinnen des hwat’u-Spiels
(hwat’u-ch’ingu), die Großmütter
aus Nùnggol, die mich gelegentlich in ihren Kreis
einluden und denen ich neben etlichen guten Tips auch eine
Einladung zum buddhistischen Tempel in der weiteren Umgebung
des Dorfes im Rahmen eines buddhistischen Ahnenerinnerungs-Rituals
verdanke. Mein besonderer Dank geht insbesondere an alle
X-ssi-Ältesten, aber auch an Vertre¬ter der Y-ssi
und Z-ssi in den Dörfern, beziehungsweise in deren
jeweiligen Lin¬eagebüros, an die Hansan Yi-ssi
in Pundang, die mir erlaubten, an ihren Ahnenritualen teilzunehmen;
des weiteren an die politisch Verantwortlichen von Nùnggol,
Naegok und Umyòng, die mir die Teilnahme an den Wahlen
zum Dorfoberhaupt im je¬weiligen Dorf ermöglichten,
an die Verantwortlichen im Landkreisbüro (myònsamusil),
die mir Statistiken zugänglich machten, an die Herren
Pak Yong-ik und Yi In-yòng vom Heimatverein in Yòngin,
die mir generös vom Heimatverein erstellte Literatur
schenkten. Frau Pak Yu-gyòng, eine Anthropologiestudentin
von Professor Yi Kwang-kyu half mir geduldig im Landkreisbüro
die in chinesischen Schriftzeichen handschriflich registrierten
Namen aus verschiedenen Registern abzuschreiben, da nicht
kopiert werden durfte. Weniger erfolgreich waren wir beide
im Gerichtsgebäude in Suwòn. Die Rechtsgelehrten
behandelten uns zwar sehr freundlich, erteilten uns ein
paar allgemeine Auskünfte, wimmelten uns ansonsten
aber elegant ab. Nicht vergessen möchte ich die jeweils
für ein Jahr gewählten Ritualspezialisten der
X-ssi aus Seoul, die mir geduldig und ausführlich Themata
erläuterten.
In Deutschland danke ich vor allen Herrn Professor Georg
Pfeffer, der nie die Geduld mit mir verlor, sondern mich
ständig ermahnte, ‘ich sei der Wissenschaft noch
etwas schuldig‘. Professor Pfeffer prägte stark
meine theoretische Denkrichtung. Frau Professor Martina
Deuchler half indirekt sehr durch ihr an meiner Forschung
gezeigtes Interesse und ihre vielen Hinweise bei meinen
Besuchen in London.
Ergänzend sei angefügt, dass das Forschungsprojekt
von keiner Institution finanziert wurde. Dies erlaubte mir
zwar totale wissenschaftliche Unabhängigkeit, führte
aber dazu, dass ich keine Finanzen für Übersetzungen
von Dokumenten oder zur Bezahlung von Assistenten zur Verfügung
hatte. Ich verdanke die Forschungsmöglichkeit in Korea
dem Zufall als ‘mitausreisende Ehefrau’ fünf
Jahre in dieser faszinierenden Kultur gelebt zu haben. Ein
Forschungsantrag von Frau Professor Dorothea Sich vom tropenmedizinischen
Institut in Heidelberg bei der DFG, in dem ich als Ethnologin
ihre Forschungen in Korea fortsetzen sollte, wurde nach
drei Jahren abgelehnt, blockierte jedoch meine Bemühungen,
mich anderweitig nach einer Finanzierung umzusehen.
Für das Verständnis, das mein Mann, Günter
Rösch, während all der Zeit aufbrachte, danke
ich ihm herzlich. Gespräche mit Kollegen und Kolleginnen
aus seinem Arbeitsbereich und deren Ehepartnern, verhalfen
mir zudem zu vielen Einsichten, sowie zu Vergleichen des
städtischen Sozialgefüges mit dem der Provinz.
Auch ihnen gebührt mein bester Dank.
Entschuldigen möchte ich mich bei all den Wissenschaftlern,
deren Arbeiten ich wegen der Beschaffungsproblematik nicht
berücksichtigen konnte. Von Deutschland aus ist es
äußerst schwierig, koreanische, amerikanische
und kanadische Dissertationen einzusehen.
Aus meinem Kapitel über die Ahnenberge dürfte
ersichtlich sein, dass auch historische und archäologische
Fragestellungen die Heidelberger Ethnologie prägten
– zu einer Zeit als dies für den ‘mainstream’
der Sozialanthropologen als antiquiert galt. Der leider
nicht mehr unter uns weilende Professor Jettmar hatte solche
Interessen geweckt.
Und zum Schluss, unvergesslich waren für die Studierenden
aller Fachrichtungen die Vorlesungen von Professor Gadamer.
Er dozierte über die Problematik von Erfahrungsmöglichkeiten
und Interpretation – für Ethnologinnen ein enorm
wichtiges Thema. Die folgende Arbeit beschränkt sich
primär auf Erfahrungen und Interpretationen aus der
teilnehmenden Beobachtung. Für eventuelle Missinterpretationen
entschuldige ich mich.
Bei Professor Martina Deuchler bedanke ich mich herzlich
für die stimulierende Diskussion und ihre hilfreichen
Kommentare vor Drucklegung dieser Arbeit.
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