Günther Bonheim, Thomas Regehly (Hrsg.)
Mystik und Totalitarismus
Böhme-Studien. Beiträge zu Philosophie und Philologie, Bd.3
Berlin, 2013, 252 Seiten; Breitklappenbroschur, Format 165 × 240 mm
ISBN 978-3-89998-211-4; € 29,80
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Buchreihe
Über das Buch:
Wie ist das Interesse von Ideologen des Dritten Reichs an „Traditionen deutscher Mystik“ zu erklären? Handelte es sich um ein Mißverständnis? Wurde eine Nebensache für das Eigentliche genommen? Oder gibt es doch substantielle Gemeinsamkeiten, an die der Nationalsozialismus anknüpfen konnte?
Diese Fragen standen auf der Tagung „Mystik und Totalitarismus“, die das Internationale Jacob-Böhme-Institut im März 2011 in Frankfurt a. M. veranstaltete, im Mittelpunkt. Die hier abgedruckten Beiträge sind erste Schritte auf dem Weg zu einer Erhellung dieses Zusammenhangs.
Die eigentümlichen Korrespondenzen zwischen Mystik und dem, wofür Hannah Arendt den Begriff der totalen Herrschaft geprägt hat, wurden von verschiedenen Seiten aus beleuchtet. Schwerpunkte waren dabei neben der nationalsozialistischen Mystik-, namentlich Böhme- und Eckhart-Rezeption die, wenn man so will, selbstverfertigten Mystizismen der NS-Bewegung und die mit ihnen verknüpften, von Sölle in die Nähe zur überlieferten Mystik gerückten kultischen Inszenierungen sowie die hierfür den Boden bereitende Melange aus völkisch- rassistischem Gedankengut und Okkultismus, die bereits ab den achtziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts und vermittelt vor allem über eine wachsende Anzahl pseudo-wissenschaftlicher Periodika von einem wachsenden Publikum rezipiert wurde.
Der dritte Band der Böhme-Studien enthält die Ausarbeitungen der Vorträge dieser Tagung zum Thema „Mystik und Totalitarismus“, die in Kooperation mit der Katholischen Akademie Rabanus Maurus und der Frankfurter Initiative Denkraum im Frankfurter Haus am Dom stattgefunden hat.
Zusätzlich aufgenommen wurde ein Aufsatz von Reiner Manstetten, der als Beitrag für die Tagung vorgesehen war, dann aber nicht vorgestellt werden konnte. Die Studie, die mit ihrer Herausarbeitung offensichtlich verwandter Erscheinungen in Christentum, Islam und Buddhismus ein sehr eindrückliches Bild von der Dimension und Aktualität des Problems zeichnet, wurde den übrigen Beiträgen vorangestellt.
Rezension in ARBITRIUM, Zeitschrift Rezensionen zur Germanist. Literaturwissenschaft; 2014 Band 32.3
Verhältnismäßig selten fallen dem literaturwissenschaftlich interessierten Leser
Studien in die Hand, die eine gründliche historische, philologische und philosophische
Analyse mit explizit lebens- und weltbezogenen Fragestellungen verbinden
und dabei noch im Bewusstsein um die eigene Vorläufigkeit verfasst
sind. Der Tagungsband Mystik und Totalitarismus des Internationalen Jacob
Böhme Instituts jedoch ist eine solche Studie, die sich dem irritierenden Phänomen
der positiven Inanspruchnahme mittelalterlicher und frühneuzeitlicher
Mystik im Dritten Reich widmet. Das gut belegbare Interesse von NS-Ideologen
an einer „Tradition deutscher Mystik“ sowie deren ideologische Selbstvergewisserung
und Selbstpositionierung in Bezug zu Autoren wie Meister Eckhart
und Jacob Böhme belastete auch das wissenschaftliche Interesse an diesen
Autoren und wirft bis heute Fragen auf. Was genau ließ die NS-Strategen glauben,
in den mittelalterlichen beziehungsweise frühneuzeitlichen Texten die eigene
Weltanschauung vorgeprägt zu finden? Inwieweit handelt es sich hier um
strukturelle Affinitäten, inwieweit um Missverständnisse, Missdeutungen und
schlichten Missbrauch? Oder lässt sich sogar ein der Mystik inhärentes Gefahrenpotenzial
identifizieren, das, vielleicht sogar kulturübergreifend, Berührungspunkte
mit faschistischen und rassistischen, eben totalitären Ideologien
aufweist? Dem Tagungsband gebührt das Verdienst, diese höchst aktuellen Fragestellungen
am historischen Material teilweise akribisch zu prüfen.
... Mit den neun Studien ist es dem Band
Mystik und Totalitarismus gelungen,
durch präzise Fragen, exemplarische Analyse und zum Teil beharrliches
Schürfen am historischen Detail Licht in die Bezüge zwischen diesen beiden Phänomenen
zu bringen. Außer Frage steht dabei, dass es sich nur um erste Schritte
handeln kann. Doch weist der „heilsame Streit“, den die Herausgeber mit ihren
Leitfragen initiiert haben, in eine Richtung, die sowohl für die am historischen
Gegenstand interessierte Wissenschaft wie für die Einschätzung religiöser Argumentationsfiguren
in gegenwärtigen Diskursen nur fruchtbar sein kann.
von Dr. Kristine Hannak
Rezension auf www.faustkultur.de:
Mystik und Totalitarismus – dieses Begriffsgespann hat es in sich. Wenn man weiß, dass viele Führungs-persönlichkeiten totalitärer Regime, vor allem des Nationalsozialismus, mystischen Traditionen nahestanden, entsteht Klärungsbedarf. Nach einer Tagung zum Thema erschien eine Dokumentation, die Jakob Ullmann sehr genau gelesen hat.
"... Diese und ähnliche Fragen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei der Unternehmung von Günther Bonheim und Thomas Regehly um ein höchst verdienstvolles Unterfangen handelt, dem nicht nur dringend die Kenntnisnahme, sondern in mindestens gleicher Dringlichkeit eine Fortsetzung gewünscht werden muss. Dem WeißenseeVerlag ist zu danken, dass er sich eines so sperrigen Themas angenommen und die Dokumentation dieser wichtigen Tagung in für heutige Verhältnisse keineswegs selbstverständlich ansprechenden und angemessenen Form präsentiert..."
von Prof. Dr.Phil. Jakob Ullmann
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Rezension F.A.Z. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 12.02.2014: "
Mystik und Totalitarismus Selbstlos und ohne Vorbehalte: Mystik gilt oft als weltabgewandt und politisch antiautoritär oder jedenfalls unzuverlässig, weil auf hochpersönlicher Erfahrung beruhend. Der Mystiker empfindet sich als Gefäß Gottes, aber Gefäße handeln nicht. Historisch jedoch ist es immer wieder zum Kurzschluss zwischen Mystik und Gewalt gekommen, vom Kreuzzugfanatiker Bernard von Clairvaux bis zu Ajatollah Chomeini. Eine Ausgabe der "Jacob-Böhme Studien" (Heft 3, Berlin: Weißensee Verlag, 2013) widmet sich jetzt dem Zusammenhang von "Mystik und Totalitarismus". Als Schnittmenge beider werden Allmachtsmotive, Lust an der Ichauslöschung, die Forderung ... "
Quelle: F.A.Z. Frankfurter Allgemeine Zeitung Online-Archiv